Was macht eine Leihoma: „Ich bin dafür da, der Mutter im Alltag zu helfen“
„Wer bei uns ist, will nicht wieder nach Hause“, lacht Edith Hansen. Sie und ihr Lebensgefährte Rolf haben seit zwei Jahren, über das Düsseldorfer Jugendamt vermittelt, vier Leihenkelkinder. Ja, gleich vier – „und das ist wunderbar“, fügt Edith hinzu. „Wir sind ein große Familie, jeder ist für den anderen da.“ Wer jetzt denkt, dass die Dame sicher selbst kinderlos ist, liegt weit daneben. Aber der Reihe nach…
Ich treffe Edith in den Düsseldorf Arkaden. Wir suchen uns einen stillen Platz, bestellen Cappuccino. Edith ist gut vorbereitet, hat viele Unterlagen dabei, sich für unser Gespräch Notizen gemacht. „Ich spring immer hin und her“, wird sie im Verlauf unseres Interviews noch häufig sagen, aber das zeigt nur einmal mehr ihr buntes, glückliches Leben. Das vor 62 Jahren begann und das, als ihr 1. Kind auf die Welt kommt, erst einmal einen gehörigen Dämpfer bekommt: Daniela wird mit Down-Syndrom geboren. Die heute 33-Jährige arbeitet als Verkäuferin im Erdgeschoss der Arkaden. „Da brauchte ich viel Zeit“, erinnert sich Edith; zwei Jahre später bekommt sie wieder Nachwuchs, diesmal Susanne, die ohne Behinderung aufwächst, ihren Vater aber nicht wirklich kennen lernen wird: Als Ediths zweites Kind acht Monate alt ist, stirbt ihr Mann.
Vier goldige Kinder und ein Leihopa
Heute, drei Jahrzehnte später, gehören zur großen Familie neben ihren eigenen Töchtern auch Mia, Hannah, Lukas und Thea. Edith hat ein gerahmtes Bild der vier Leihenkel mitgebracht. Die älteste ist zehn, die jüngste noch nicht drei. „Immer dienstags kommt uns Sandra mit ihren vier goldigen Kindern besuchen“, erzählt Edith. Früher ist Edith zu ihrer Mutter gefahren, heute kommen die fünf zu ihr und Rolf. Denn die berufstätige Mutter Sandra hatte Glück und bekam vom Düsseldorfer Jugendamt gleich ein Leihgroßelternpaar vermittelt. Nicht sehr viele Opas machen „so etwas“. Die meisten, die sich im städtischen Leihoma/opa-Projekt ehrenamtlich engagieren, sind Frauen.
Rolf (59) ist leidenschaftlicher Gärtner – so haben sich Edith und er auch kennengelernt: über die Natur. Rolf war in einem Haushalt beschäftigt, in dem Edith als Babysitterin tätig war. Edith schmunzelt, als ich sie frage: „Wie, als Babysitterin sind sie auch noch weiter aktiv?“ Nur ein bisschen noch, antwortet Edith, die dafür sogar in den weit entfernten Stadtteil Gerresheim fährt, selbst in Düsseldorf Hamm wohnt. Das ist eine ganz schöne Strecke, die sie aber gern auf sich nimmt. „Ich kenne es nicht anders“, sagt sie, „mein ganzes Leben besteht aus Kindern.“
Ein Tisch für 20 Personen und ein Gewächshaus
Heute bewirtschaftet Rolf in 1.Linie den eigenen Garten, der riesig zu sein scheint. „Das nächste Mal müssen Sie uns besuchen kommen“, strahlt Edith, so schön sei es zuhause. „Wir lieben Blumen“, fügt sie an, von denen es genügend gibt. Und große Tische für 20 Personen, Bäume, ein Gewächshaus, dahinter ein Ackerstück. „Wenn die Bauern weiter hinter ihre Felder bewässern, ist das auch ein Riesenspaß für uns und die Kinder“, strahlt Edith. Alle wollen ebenfalls nass werden. Und es gibt Tore zum Fußballspielen. „Am liebsten spiele ich aber Federball“, berichtet Edith.
Was ist der Anreiz, Haus und Herz so weit zu öffnen? Die Freude, die Anerkennung. Von beidem gibt es reichlich. „Wir sind in alles eingebunden“, sagt die gelernte Drogistin. Kindergeburtstage, Einschulungen, Konzerte. „Sandra sagt, das sei Bestimmung gewesen, dass wir uns kennengelernt haben“, fährt sie fort. Und dabei hatte die Mutter, bevor sie sich hilfesuchend an Maria Drue vom Düsseldorfer Jugendamt wendete, zunächst Pech gehabt. „Die Kinderfrau, die vor uns da war, musste kurzfristig aufhören, Sandra brauchte dringend Unterstützung“, weiß Edith.
Und die leiblichen Großeltern sind nicht eifersüchtig
Edith wiederum war gerade auf der Suche: Ihre Arbeit in einem heilpädagogischen Kindergarten ging zu Ende. Dort hatte sie ausgeholfen, nachdem ihre jüngste Tochter, die dort angestellt ist, sie gebeten hatte: „Mama, wir haben so viele Krankheitsfälle, kannst Du nicht mal kommen?“ Drei Monate habe sie das gemacht, erzählt Edith und ihre Augen leuchten schon wieder. „Das war so toll. Als Rolf und ich dann in der Rheinischen Post von dem Leihoma-Projekt gelesen haben, haben wir dort sofort angerufen.“ Maria Drue machte die Familien miteinander bekannt. „Einfach toll, wie Frau Drue und Team das machen, auch heute immer für uns und alle anderen Leihomas da sind“, beteuert Edith.
Was ist mit den leiblichen Großeltern? Gibt es da keine Eifersucht? Man akzeptiere sich gegenseitig in den jeweiligen Rollen, ist sich Edith sicher. Die „richtigen“ Omas und Opas wohnen weit weg von Düsseldorf – in Hessen und Süddeutschland. „Ich bin dafür da Sandra zu helfen im Alltag mal zu entspannen“, sagt Edith und weiß, wie gern ihre Hilfe auch angenommen wird. „Wenn die fünf zu uns kommen, haben die Kinder drei Erwachsene als Ansprechpartner. Sandra muss sich nicht kümmern, es läuft keine Waschmaschine, sie kann abschalten.“ Dann sind Rolf und Edith, wie die Kinder sie auch nennen, tonangebend. „Wenn ich dann tags drauf eine SMS bekomme, wie schön etwas für die Kinder war, bin ich glücklich…“, fasst Edith den Sinn ihrer Unterstützung zusammen.
Später – der Cappuccino ist getrunken, wir sind im Erdgeschoss – darf ich noch Ediths älteste Tochter kennenlernen. Man merkt, dass auch sie stolz ist auf ihre Mutter. Und umgekehrt. Ich freue mich mit ihnen.
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